Im privaten Lebensbereich und an öffentlichen Orten ist sexuelle Belästigung lange Zeit gar nicht strafbar gewesen, das heißt, es gab keinen Schutz für Betroffene. Erst im November 2016 wurde der § 184i in das Strafgesetzbuch (StGB) mit aufgenommen. Hier ist eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren für den Tatbestand der sexuellen Belästigung geregelt. Als eine solche werden jedoch lediglich sexuell bestimmte körperliche Berührungen definiert. Der gesetzliche Schutz vor sexueller Belästigung ist also im öffentlichen Raum begrenzt.
Anders sieht es hingegen im Arbeitsrecht aus. Hier greift das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), welches sexuelle Belästigung in jeder Form – auch verbal und non-verbal – als eine Diskriminierung einordnet. Das AGG schützt Betroffene also deutlich umfassender und über das Strafrecht hinaus. Das liegt unter anderem daran, dass sexuelle Belästigung im Arbeitsumfeld besonders gravierend ist, denn Betroffene können Tätern hier nicht einfach aus dem Weg gehen, ohne gegen ihre Pflichten dem Arbeitgeber gegenüber zu verstoßen. Der Schutz des AGG ist zudem nicht nur auf den Arbeitsort und die Arbeitszeit beschränkt, sondern bezieht sich auf alle Bereiche des Arbeitsverhältnisses, zum Beispiel auch Dienstreisen, Arbeitswege, Firmenfeiern und -Ausflüge, Pausen und Kommunikationswege.
Darüber hinaus sind im AGG konkrete Rechte und Pflichten festgelegt. So ist der Arbeitgeber verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, welche dem Schutz vor sexueller Belästigung dienen. Er muss eine zuständige Stelle einrichten, wo Beschwerden von Arbeitnehmern geprüft werden. Liegt sexuelle Belästigung vor, hat er, wenn notwendig, gegen seine eigenen Angestellten vorzugehen, beispielsweise indem er sie abmahnt, um- oder versetzt oder ihnen sogar kündigt. Kann er die Diskriminierung nicht abstellen, haben Betroffene schließlich das Recht auf Leistungsverweigerung. Sofern es in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der sexuellen Belästigung steht, darf der Arbeitnehmer also unter bestimmten Voraussetzungen von der Arbeit fernbleiben und hat dennoch einen weiterhin bestehenden Anspruch auf Lohnfortzahlung. Hierbei ist stets Vorsicht geboten, denn eine unberechtigte Arbeitsverweigerung kann zur Kündigung führen.
Zudem können Opfer sexueller Belästigung Schadensersatz und Entschädigungen geltend machen. Das bedeutet, dass als Schadensersatz beispielsweise Kosten für notwendige Arzt- und Therapiebesuche vom Arbeitgeber übernommen werden müssen, oder als Entschädigung Schmerzensgeld verlangt werden kann. Um diese Ansprüche geltend machen zu können, muss jedoch beachtet werden, dass vergleichsweise kurze Fristen gesetzt sind: Innerhalb von zwei Monaten müssen Betroffene die Ansprüche schriftlich beim Arbeitgeber einreichen.
Freiberufliche Mitarbeiter, Honorarkräfte und Beschäftigte auf Werkvertragsbasis sind grundsätzlich nicht durch das AGG vor sexueller Belästigung geschützt. Sie können sich lediglich auf andere zivil- und strafrechtliche Bestimmungen wie Beleidigung oder sexuelle Nötigung berufen. Anderes gilt nur, wenn beispielsweise die Erteilung eines Auftrags an die Zustimmung zu sexuellen Handlungen geknüpft ist oder sie als sogenannte „feste freie Mitarbeiter“ in einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis stehen. In diesen Fällen greift der Schutz des AGG.
Besonders problematisch ist sexuelle Belästigung dann, wenn sie vom Chef selbst ausgeht. In diesen Fällen steht in der Firmenhierarchie niemand mehr über dem Täter, bei dem man sich beschweren könnte. Der Chef wird bei einer Beschwerde keine Maßnahmen gegen sich selbst ergreifen. Gibt es also keine andere Möglichkeit, der sexuellen Belästigung zu entgehen, können Betroffene ihr Leistungsverweigerungsrecht geltend machen. Darüber hinaus gibt es langfristig nur geringe Chancen, weiter im Betrieb beschäftig zu bleiben. In der Regel ist davon auszugehen, dass der Vorgesetzte eine Möglichkeit suchen wird, das Angestelltenverhältnis zu beenden, beispielsweise, indem er eine Abfindung als Ausgleich zum Verlust des Arbeitsplatzes zahlt. Betroffene sollten dennoch unbedingt darauf achten, zusätzlich ihre Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche geltend zu machen. Es ist ratsam zur Durchsetzung dieser Ansprüche, sowie bereits bei Inanspruchnahme des Leistungsverweigerungsrechtes einen Anwalt zurate zu ziehen. Dieser kann zu vollständiger Rechtssicherheit verhelfen.
Nicht nur Situationen, in welchen Arbeitnehmer selbst sexuell belästigt werden, sind belastend. Oft empfinden auch Unbeteiligte Überforderung, Unsicherheit und Sorge, wenn sie sehen, dass jemand am eigenen Arbeitsplatz Opfer sexueller Belästigung wird. Besonders schwer wird es insbesondere dann, wenn es sich bei dem Belästigenden um einen Vorgesetzten handelt. Dennoch gibt es einige Verhaltensweisen, die die Antidiskriminierungsstelle des Bundes für diese Fälle empfiehlt. Dazu gehören:
- Aufmerksamkeit gegenüber sexueller Belästigung schärfen
- Hilfe und Unterstützung anbieten
- Direktes, aktives Eingreifen (verbal und physisch) während eines Vorfalls
- Zusichern, als Zeuge auszusagen
- Sexuelle Belästigung allgemein am Arbeitsplatz thematisieren
Im September 2015 entschied das Arbeitsgericht Weiden zugunsten einer Arbeitnehmerin in einem Fall von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Die Betroffene war von ihrem Vorgesetzten mehrfach sexuell belästigt worden. Wiederholt wurde sie von ihm aufgefordert, sich in seinem Büro auf die Couch zu setzen, wo er nah an sie heranrückte und die übliche körperliche Distanz nicht wahrte. Er streichelte ihr auch bei sonstigen Aufeinandertreffen über die Schulter, suchte physischen Kontakt, legte ihr den Arm um die Hüfte. Schließlich griff er ihr von hinten mit beiden Händen an die Brüste und hielt sie umklammert. Die Arbeitnehmerin wurde daraufhin arbeitsunfähig und erschien nicht mehr. Das Gericht entschied, dass ihr zum einen eine Lohnfortzahlung zustand. Zum anderen musste der Arbeitgeber, der gegen den belästigenden Angestellten keine Maßnahmen ergriffen hatte, Behandlungskosten übernehmen und eine Entschädigung zahlen. Diese hatte die Höhe eines halben Jahresgehaltes.
Der Fall zeigt, wie empfindlich die Rechtsprechung auf Diskriminierung in Form von sexueller Belästigung reagiert. Betroffenen kommt diesbezüglich ein besonderer Schutz zu. Auch zahlreiche andere Gerichtsentscheidungen belegen, dass Opfer sexueller Belästigung verbale, non-verbale und physische Übergriffe am Arbeitsplatz nicht ertragen müssen. Insbesondere Verharmlosungsversuche seitens der Täter oder Arbeitgeber führen in diesem Zusammenhang zu vergleichsweise hohen Entschädigungssummen.
Besonders schwerwiegend wird das Problem mit sexueller Belästigung, wenn Opfern nach einer Beschwerde üble Nachrede unterstellt wird und man ihnen deswegen kündigt. Ein solcher Vorwurf impliziert, dass der Betroffene absichtlich die vermeintliche Lüge der sexuellen Belästigung verbreiten würde, um den Ruf der beschuldigten Person zu schädigen. Die belästigten Arbeitnehmer sind dann oft erst recht hilflos, weil ihnen neben der psychischen und körperlichen Belastung zusätzlich noch eine Schuld zugesprochen wird und es schier aussichtslos ist, sich zu wehren. Dennoch ist in solchen Fällen schnelles Handeln gefragt: Nach einer Kündigung bleiben lediglich drei Wochen, um eine sogenannte Kündigungsschutzklage zu erheben. Wird diese Frist eingehalten, ist das Vorgehen gegen die Kündigung in der Regel jedoch erfolgreich, denn der Arbeitgeber muss beweisen, dass der Vorwurf der sexuellen Belästigung unwahr ist. Dies kann er nur selten überzeugend belegen. Wird ein Arbeitsvertrag nach einer Beschwerde wegen sexueller Belästigung nicht verlängert, kann hiergegen wiederum nur ausnahmsweise dann vorgegangen werden, wenn es eindeutige Indizien gibt, dass die Nichtverlängerung in einem direkten Zusammenhang mit der Beschwerde steht.
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Viele Menschen kennen sich weder mit den unerlaubten Formen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz noch mit den konkreten Rechten Betroffener aus. Dies belegt eine repräsentative Umfrage, die im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes im Jahr 2015 von dem SUZ (Sozialwissenschaftliches Umfragezentrum GmbH Duisburg) durchgeführt wurde. Im Rahmen dieser Umfrage wurden 1002 zufällig ausgewählte Personen zum Thema befragt. Viele Arten sexueller Belästigung wurden von nur rund zwei Dritteln der Befragten überhaupt als solche wahrgenommen und nur wenige wussten, dass insbesondere am Arbeitsplatz jede Form von Belästigung gesetzlich verboten ist. Der Aspekt, dass der Arbeitgeber zum Schutz vor dieser Art von Diskriminierung verpflichtet ist, war lediglich 80 % bekannt, ähnliches gilt für Rechte der Betroffenen, beispielsweise das Leistungsverweigerungsrecht. Diese Zahlen lassen nicht nur den Rückschluss zu, dass viele Menschen schlecht oder gar nicht über das Thema informiert sind, sondern sie implizieren auch, dass sich Opfer sexueller Belästigung nur schwer zur Wehr setzen können – wer seine Rechte nicht kennt, kann diese auch nicht durchsetzen.
In das Bewusstsein und die Wahrnehmung der Gesellschaft ist diese Form von Diskriminierung möglicherweise im Rahmen der #MeToo-Debatte gerückt. Im Oktober 2017 wurde bekannt, dass ein bekannter Filmproduzent offenbar zahlreiche Frauen sexuell belästigt, genötigt und vergewaltigt haben soll. Unter dem Hashtag „MeToo“ twitterten daraufhin Millionen Frauen aus aller Welt, die ebenfalls Opfer sexueller Belästigung geworden sind. Es entbrannte eine Debatte über das Bestehen der Problematik in der Film- und Musikbranche, in wissenschaftlichen Bereichen und in der Politik. Obwohl die Verbreitung und Nutzung des Hashtags auch viel Kritik hervorrief, hat die Kampagne dennoch verdeutlicht, dass sexuelle Belästigung kein Einzelfall ist, sondern für viele Menschen Alltag bedeutet. Das Bewusstsein der Öffentlichkeit könnte sich geschärft haben. Studien, welche eine Veränderung gegenüber den Umfrageergebnissen aus dem Jahr 2015 belegen könnten, liegen aktuell noch nicht vor.