Da Menschen mit schweren Behinderungen im Arbeitsleben meist einen deutlichen Mehraufwand betreiben müssen und insgesamt mehr Nachteile in Kauf nehmen müssen, erfahren sie durch den Gesetzgeber eine besondere Förderung. Das Schwerbehindertengesetz versucht somit einige Nachteile, welche den Betroffenen aus ihrer Behinderung entstehen, durch Vorschriften für Arbeitgeber und besondere Schutzrechte für Arbeitnehmer auszugleichen. Diese betreffen vor allem den Sonderkündigungsschutz, den Anspruch auf gesetzlichen Zusatzurlaub und das Verbot zur Mehrarbeit. Weiterhin haben schwerbehinderte und ihnen gleichgestellte Arbeitnehmer eine eigene innerbetriebliche Interessenvertretung, die Schwerbehindertenvertretung.
Voraussetzung für das Inkrafttreten des Sonderkündigungsschutzes ist, dass dem Betroffenen die Schwerbehinderteneigenschaft zuerkannt ist oder die Gleichstellung anerkannt wurde. Um das Arbeitsverhältnis schwerbehinderter oder gleichgestellter Arbeitnehmer wirksam aufheben zu können, müssen Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung die Zustimmung des Integrationsamtes einholen. Auch wenn sich der Arbeitnehmer innerhalb der Probezeit befindet oder das Arbeitsverhältnis weniger als sechs Monate beträgt, ist das Integrationsamt über die beabsichtigte Kündigung durch den Arbeitgeber zu informieren (§ 85 SGB IX). Unwichtig ist dabei, um welche Art der Kündigung es sich handelt. Ist dem Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung die Schwerbehinderteneigenschaft des Beschäftigten nicht bekannt, muss der Betroffene den Arbeitgeber innerhalb von drei Wochen nach Ausspruch der Kündigung davon unterrichten. Unterlässt der Arbeitnehmer diese Mitteilung, verliert er seinen Sonderkündigungsschutz. Die Entscheidung, ob eine beabsichtigte Kündigung ausgesprochen werden darf oder nicht, liegt im Ermessen des Integrationsamtes. Dieses wiegt die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen gegeneinander ab. Das Kündigungsbegehren wird vor allem darauf geprüft, inwiefern es mit der Behinderung des Arbeitnehmers in Zusammenhang steht. Die Kündigungsart ist hier insofern wichtig, als personen- oder krankheitsbedingte Kündigungen darauf geprüft werden, ob dem Arbeitnehmer nicht eine leidensgerechte Beschäftigung im Betrieb angetragen und der Arbeitsplatz somit erhalten werden kann. Verhaltensbedingte Kündigungen sind daraufhin zu prüfen, ob die Pflichtverletzung des Arbeitnehmers in Zusammenhang mit seiner Behinderung steht. Ist dies der Fall, darf die Kündigung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht erteilt werden. Wollen Arbeitgeber eine betriebsbedingte Kündigung aussprechen, ist durch das Integrationsamt zu prüfen, ob mittels Umschulung oder Fortbildung eine angemessene Weiterbeschäftigungsmöglichkeit innerhalb des Betriebs besteht.
Erteilen Arbeitgeber eine Kündigung, ohne vorher die Zustimmung des Integrationsamtes eingeholt zu haben, ist die Kündigung nicht wirksam. Innerhalb von drei Wochen nach Erhalt der Kündigung können Arbeitnehmer vor Gericht Kündigungsschutzklage erheben. Wird diese Frist nicht eingehalten, ist die Kündigung trotz fehlender Zustimmung des Integrationsamtes wirksam.
Eine Entscheidung des Integrationsamtes für den Ausspruch einer Kündigung durch den Arbeitgeber, bedeutet allerdings noch nicht, dass die Kündigung auch tatsächlich Erfolg hat. Das Integrationsamt prüft nämlich lediglich, ob die Kündigung in Zusammenhang mit der Behinderung des Betroffenen steht. Die Prüfung der übrigen arbeitsrechtlichen Wirksamkeit einer Kündigung obliegt den Arbeitsgerichten. Arbeitnehmer können diesbezüglich innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung Kündigungsschutzklage erheben.
Arbeitnehmer mit Schwerbehinderung können vom Arbeitgeber nicht zur Leistung von Mehrarbeit, also von Überstunden, verpflichtet werden.
Da Arbeitnehmer mit einer schweren Behinderung oder ihnen Gleichgestellte regelmäßig einer erhöhten Belastung im Arbeitsleben ausgesetzt sind, wird ihnen nach § 125 SGB IX ein zusätzlicher Urlaubsanspruch von fünf Tagen gewährt (bei einer Fünftagewoche).
Die Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung sind es, die Interessen und Rechte der Arbeitnehmer mit schweren Behinderungen oder ihnen Gleichgestellte zu vertreten und diesen beratend und helfend zur Seite zu stehen. Die Schwerbehindertenvertretung wacht außerdem darüber, dass der Arbeitgeber seine Pflichten gegenüber den Arbeitnehmern mit schweren Behinderungen oder ihnen Gleichgestellten einhält. Beschäftigt ein Betrieb mindestens fünf Menschen mit schweren Behinderungen oder Gleichgestellte dauerhaft, ist eine Schwerbehindertenvertretung ab einer Betriebsgröße von 100 Mitarbeitern zu wählen.
Möchten Bewerber ihre Behinderung nicht offen darlegen, sind sie nicht verpflichtet, dem Arbeitgeber diese Mitteilung zu machen. Auch bei bestehenden Beschäftigungsverhältnissen ist der Arbeitgeber erst nach Ablauf von sechs Monaten (auch wenn keine Probezeit vereinbart wurde) befugt, den Arbeitnehmer nach einer womöglich bestehenden Behinderung zu fragen. Diese Möglichkeit wurde ihm zuerkannt, damit er Kenntnis darüber erlangen kann, welchen Mitarbeitern er gegebenenfalls Zusatzurlaub gewähren muss oder ob er mit dem beschäftigten Arbeitnehmer seiner gesetzlich vorgeschriebenen Pflicht zur Beschäftigung Schwerbehinderter nachkommt.
Aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz ergibt sich das Benachteiligungsverbot für Menschen mit Behinderung (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz). Diese dürfen demnach insbesondere bei der Auswahl, bei der Einstellung, bei den beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten und Beschäftigungsbedingungen, bei der Durchführung des Arbeitsverhältnisses, der Weiterbeschäftigung und bei den Kündigungsbedingungen nicht gegenüber anderen Arbeitnehmern benachteiligt werden. Den Betroffenen entsteht bei Nichteinhaltung des Benachteiligungsverbots ein Schadensersatzanspruch.
Zusätzlich schützt das Neunte Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) die Rechte von Menschen mit schweren Behinderungen und bildet die Grundlage für das Schwerbehindertenrecht.
Grundsätzlich sind öffentliche und private Unternehmen mit mindestens dauerhaft 20 Arbeitsplätzen verpflichtet, 5 % der freien Stellen durch Arbeitnehmer mit schwerer Behinderung zu besetzen. Der Arbeitgeber muss diesbezüglich im Vorhinein prüfen, ob die Stelle dafür geeignet ist, durch einen Arbeitnehmer mit schwerer Behinderung besetzt zu werden. Dabei muss er gewährleisten, dass Arbeitnehmer ihre Fähigkeiten und Kenntnisse im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses voll ausschöpfen und weiterentwickeln können. Dazu zählt, dass die betroffenen Arbeitnehmer bei innerbetrieblichen Schulungen und Weiterbildungsmaßnahmen bevorzugt behandelt werden müssen. Auch außerbetriebliche Maßnahmen zur Förderung des beruflichen Fortkommens sollen durch Arbeitgeber besonders unterstützt werden. Im Auswahlprozess für eine freie Stelle sind weiterhin insbesondere jene Arbeitnehmer mit schweren Behinderungen zu berücksichtigen, die beim Arbeitsamt als arbeitssuchend oder arbeitslos gemeldet sind. Kommen Betriebe der Beschäftigungspflicht nicht oder lediglich teilweise nach, müssen pro Arbeitsplatz monatliche Ausgleichsabgaben durch den Arbeitgeber entrichtet werden.
Beim Einstellungsverfahren erfahren Arbeitnehmer mit schweren Behinderungen besondere Förderung und müssen durch den Arbeitgeber ausdrücklich berücksichtigt werden. Im Fall von öffentlichen Arbeitgebern gilt gemäß § 82 SGB IX: Bewirbt sich ein Arbeitnehmer mit schweren Behinderungen auf eine freie Stelle, ist der öffentliche Arbeitgeber verpflichtet, diesen zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Entscheidet sich der Arbeitgeber gegen den Bewerber, muss er die Gründe für seine Entscheidung vor der Schwerbehindertenvertretung begründen und vertreten. Wenn der Bewerber auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt wurde, kann er einen Anspruch auf Entschädigung in Höhe von drei Monatsverdiensten geltend machen. Die Geltendmachung muss allerdings spätestens innerhalb von zwei Monaten nach Zugang der Ablehnung erfolgen.
Am 27. Januar 2014 schrieb ein öffentlicher Arbeitgeber Ausbildungsplätze im dualen Studium zur Verwaltungsinformatiker/in aus. Voraussetzung für die Bewerbung war mindestens eine erfolgreich absolvierte Fachhochschulreife.
Der bereits in der Generaldirektion des Unternehmens beschäftigte Verwaltungsfachangestellte bewarb sich auf den Ausbildungsplatz. Der Bewerber hatte in der Vergangenheit einen Fachhochschulabschluss erworben und bereits erfolgreich eine Ausbildung zum „Verwaltungsfachangestellte/r“ absolviert und entsprach demnach den Voraussetzungen des Unternehmens zur Vergabe der Ausbildungsplätze. In der Ausschreibung des Unternehmens hieß es jedoch weiterhin: "Das Auswahlverfahren beginnt mit einem Eignungstest." Nur unter der Voraussetzung, dass jeder Teil (schriftlich und praktisch) des Eignungstests positiv durch das Auswahlkomitee bewertet werde, sei die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch möglich. Der Bewerber fügte den Bewerbungsunterlagen alle nötigen Zeugnisse und seinen Schwerbehindertenausweis (Grad der Behinderung von 70) bei.
Die Eignungstests absolvierte der schwerbehinderte Bewerber dann unter besonderen Bedingungen. So wurde ihm beispielsweise ein gesonderter Raum zugewiesen und er erhielt für die Bearbeitung der gestellten Aufgaben mehr Zeit. Da der Bewerber die Tests allerdings nicht bestand, erhielt er eine Absage und wurde vom weiteren Auswahlprozess ausgeschlossen. Der Bewerber machte daraufhin einen Entschädigungsanspruch in Höhe von drei Monatsvergütungen geltend. Nachdem das Unternehmen die Entschädigungszahlungen abgelehnt hatte, erhob der Bewerber Zahlungsklage vor Gericht.
Zur Entscheidung des Gerichts
Die Richter des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein gaben dem Kläger recht. Entsprechend § 82 S. 2 SGB IX sei der Arbeitgeber verpflichtet gewesen, aufgrund der Schwerbehinderteneigenschaft des Bewerbers, diesen trotz nicht bestandenen Eignungstests, mindestens zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Eine offensichtliche Ungeeignetheit des Bewerbers für die ausgeschriebene Ausbildungsstelle ergebe sich nicht aus den erzielten Testergebnissen. Das erfolgreiche Bestehen der Eignungstests hätte im Falle des Bewerbers nicht als Teil des gewünschten Anforderungsprofils gewertet werden dürfen. Das Unternehmen wurde weiterhin verurteilt, den Forderungen auf Entschädigung im Umfang von zwei Monatsvergütungen nachkommen (Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 09. September 2015, Az.: 3 Sa 36/15).
Bei der Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses muss der Arbeitgeber besonders darauf achten die Arbeitsstätten, den Arbeitsplatz und das Arbeitsumfeld behinderungsgerecht einzurichten. Konkret kann dies bedeuten, dass er den Betrieb mit technischen Arbeitshilfen ausstatten muss, die den Beschäftigten ihre Arbeit ermöglichen können. Denn oftmals richtet sich die volle Einsetzbarkeit des Arbeitnehmers weniger nach seiner persönlichen Voraussetzung, als nach der Beschaffenheit des Arbeitsplatzes und der Bereitwilligkeit des Arbeitgebers, die individuellen Fähigkeiten der Mitarbeiter besonders zu fördern.
Je nach Beschäftigungsfeld können die eingesetzten Hilfsmittel natürlich variieren. Während handwerkliche Betriebe eher für die sichere Bedienung der Maschinen sorgen müssen, indem sie beispielsweise besondere Schutzvorkehrungen treffen, sind Arbeitgeber, die hauptsächlich Bürotätigkeit ausüben, eher an die Bereitstellung spezieller Programme gebunden. Sehgeschädigten Menschen kann also beispielsweise ein Computerarbeitsplatz mit erheblich größerem Monitor und größerer Tastatur und Blinden ein Computer mit sogenannter Braillezeile zur Verfügung gestellt werden, damit sie ihrer Arbeit uneingeschränkt nachgehen können. Für die Einstellung schwerbehinderter Arbeitnehmer und die barrierefreie Ausstattung des Arbeitsplatzes können Arbeitnehmer bei den Integrationsämtern finanzielle Unterstützung beantragen.
Außerdem müssen Arbeitgeber besondere Rücksicht bei den Arbeitszeiten der Mitarbeiter nehmen. Nicht immer ist es den Beschäftigten mit Behinderung möglich, in Vollzeit tätig zu sein. Arbeitgeber sind daher verpflichtet, bei Bedarf Teilzeitarbeit zu ermöglichen.
Sollte während des Beschäftigungsverhältnisses festgestellt werden, dass ein Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres durchgängig oder wiederholt phasenweise (über einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen) arbeitsunfähig ist, ist der Arbeitgeber verpflichtet, ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen. Unter Einbeziehung des betroffenen Arbeitnehmers und der Schwerbehindertenvertretung ist diesbezüglich zu klären, inwiefern der Zustand behoben werden kann. In Zusammenarbeit mit Arbeitnehmer und Schwerbehindertenvertretung muss der Arbeitgeber demnach mit allen zumutbaren Mitteln versuchen, den Arbeitsplatz zu erhalten und gegebenenfalls eine gesundheitsgerechte Anpassung der Arbeitsbedingungen vornehmen.
Menschen, die mit Behinderungen leben, haben ein ebenso großes Interesse ihre beruflichen Wünsche und Ziele zu verwirklichen, wie Menschen ohne Behinderung. Jedoch ist der Weg bis zur Ausübung des gewünschten Berufs oder der Aufnahme des angestrebten Beschäftigungsverhältnisses meist durch eine andere Ausgangslage geprägt. Um auf die individuellen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen einzugehen, wurden in der Vergangenheit besondere Vorschriften für Arbeitgeber eingeführt, die darauf ausgelegt sind, die Teilhabe am Arbeitsleben für die betroffenen Arbeitnehmer zu garantieren und etwaige behinderungsbedingte Nachteile auszugleichen. So soll den Arbeitnehmern mit Behinderung die gleiche berufliche Entfaltungsfreiheit ermöglicht werden. Dabei geht es nicht um eine Sonderbehandlung, sondern um die Inklusion der Arbeitnehmer. Am 01. Januar 2018 ist diesbezüglich die 2. Reformstufe des Bundesteilhabegesetzes in Kraft getreten, welches weitere Verbesserungen im Bereich der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsleben beinhaltet.