Obwohl VW weiterhin behauptet, beim EA288-Motor nicht manipuliert zu haben, beweisen Urteile das absolute Gegenteil. Darunter unser erstrittenes Urteil vor dem Oberlandesgericht Köln. Das Gericht verurteilte VW dazu, an unseren Mandanten gegen Herausgabe seines Skoda Superb 2.0 TDI Schadensersatz zu zahlen (Az. 24 U 112/21).
Jedes Fahrzeug, welches neu auf dem Markt präsentiert werden soll, muss einen Fahrzyklus, meist den Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) durchlaufen. Dieser legt fest, unter welchen Bedingungen CO²-Emissionen, Energie- und Kraftstoffverbrauch gemessen werden. Mit diesen Angaben wird dann das Fahrzeug beworben. Jedoch wird häufig kritisiert, dass diese Werte zu durchschnittlich ermittelt werden und sehr realitätsfern sind. Der ADAC konnte in Tests feststellen, dass die Normangaben in der Regel um bis zu 25 % zu niedrig ausfallen. In manchen Fällen haben Endkund*innen über 40 % mehr verbraucht als vom Hersteller ursprünglich angegeben.
Die Fahrzyklus-Erkennung ist eine Komponente, die sich innerhalb der Motorsteuerungssoftware befindet und mithilfe bestimmter Sensoren – wie dem Lenkwinkelsensor – erkennt, ob sich das Fahrzeug aktuell auf dem Prüfstand oder im Realbetrieb auf der Straße befindet.
- Auf dem Prüfstand:
Registriert die Software nun, dass beispielsweise die Reifen fixiert sind – wie es auf dem Prüfstand üblicherweise der Fall ist – wird der Prüf-Modus aktiviert und die Abgasreinigung läuft auf Hochtouren. Sehr große Mengen an AdBlue, einem Harnstoff, der innerhalb der Abgasreinigung für die Neutralisierung von Stickoxiden sorgt, werden eingespritzt und führen zu sehr geringen Mengen an ausgestoßenen Abgasen. Diese Messwerte werden verwendet, um die Marktzulassung zu erhalten und auch das Fahrzeug zu bewerben.
-
Im Realbetrieb:
Wird dasselbe Fahrzeug nun auf der Straße gefahren, wird der Manipulations-Modus einfach deaktiviert. Da keine Prüfsituation erkannt wird, fährt das Fahrzeug die Abgasreinigung stark herunter und schaltet diese phasenweise sogar ab. Auch die Menge an eingespritztem AdBlue wird bis auf 0 heruntergeregelt. Die gesundheitsgefährdenden Stickoxide werden somit innerhalb des Motors so gut wie gar nicht neutralisiert und einfach an die Außenluft wieder abgegeben. Die in dieser Situation gemessenen Abgaswerte sind daher um ein Vielfaches höher als die, mit denen das Auto beworben wurde und welche auf dem Prüfstand notiert wurden.
Das sogenannte Thermofenster beschränkt sich nicht auf den Motor EA288, sondern wird in der Regel in allen modernen Diesel-Fahrzeugen eingesetzt. Die Hersteller geben an, dass es sich hierbei um eine Schutzfunktion handelt, welche den Motor vor sehr hohen oder sehr niedrigen Temperaturen schützen soll.
In Fahrzeugen, die den Motor EA288 verbaut haben, sorgt das Thermofenster dafür, dass die Abgasreinigung nur korrekt läuft, wenn die Außentemperatur zwischen 20 und 30 °C liegt. Da Fahrzeuge im Fahrzyklus genau bei diesen Temperaturen getestet werden, fallen die Emissionswerte entsprechend niedrig aus.
Fällt im Realbetrieb die Außentemperatur nun unter die 20 °C oder überschreitet die 30 °C setzt die Reinigung der Abgase dagegen größtenteils oder komplett aus und die Menge an ausgestoßenen Stickoxiden ist um ein Vielfaches höher.
Bereits seit 2007 gibt es eine Verordnung, in der Abschalteinrichtungen klar als illegal eingestuft werden. Genau sagt Art. 5 II EG-VO 715/2007:
Die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, ist unzulässig.
Dennoch sind in so gut wie jedem Diesel-Fahrzeug Abschalteinrichtungen installiert, welche die Abgaswerte verfälschen und dafür sorgen, dass die gesetzlich geregelten Emissions-Grenzwerte nur mit Schummelei von den Autoherstellern eingehalten werden.
Autohersteller, wie VW & Co. berufen sich bei der Verwendung dieser Komponenten ebenfalls auf den Art. 5 II EG-VO 715/2007 und zwar auf die Ausnahmesituationen, in denen Abschalteinrichtungen zulässig sind. Unter anderem darf die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringert werden, wenn das "notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung" zu schützen.
Das Landgericht Regensburg entschied als erstes deutsches Gericht, dass die im EA288 verbauten Abschalteinrichtungen unzulässig sind:
Die streitgegenständliche Programmierung ist gesetzeswidrig. […] Sie setzt eine zu einem geringeren Stickoxidausstoß führende, ausschließlich für den Prüfstand bestimmte Programmierung der Motorsteuerung für den Fahrbetrieb auf der Straße außer Kraft, mit der Folge, dass der Stickoxidausstoß im Fahrbetrieb auf der Straße höher ist als auf dem Prüfstand.
Das Motorschutz-Argument haben mittlerweile zahlreiche Gerichte für nichtig erklärt und die Fahrzyklus-Erkennung und auch das Thermofenster als illegale Abschalteinrichtung eingestuft.
Anfang 2020 hat sich das höchste Zivilgerichts Europas – der Europäische Gerichtshof (EuGH) – mit der Frage beschäftigt. Ende 2020 kam es dann zum Kracher-Urteil des Jahres: Die Richter des EuGH entschieden, dass das Thermofenster in Diesel-Fahrzeugen eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt und Hersteller die Zulassung massenhaft erschlichen haben.
Ziel der Manipulation war, die neu zugelassenen Fahrzeuge deutlich sauberer wirken zu lassen, als sie es tatsächlich waren. Dafür wurde während des Fahrzyklus gepfuscht, bei dem bestimmte Werte – wie die CO2-Emissionen, der Kraftstoff-Verbrauch und die Leistung – ermittelt werden. Mithilfe der Fahrzyklus-Erkennung und verschiedener Abschalteinrichtungen, wie dem Thermofenster konnten auf dem Prüfstand sehr geringe Emissionswerte gemessen werden, die jedoch künstlich herbeigeführt wurden.
Endkund:innen entschieden sich gerade aufgrund dieser Werte für den Kauf eines VW-, Audi-, SEAT- oder Skoda-Fahrzeugs. Im Realbetrieb kann der optimierte Modus jedoch nicht aktiviert werden, da sonst der Motor langfristig darunter leiden würde. Dadurch konnten die Fahrzeuge nicht nur die versprochenen Emissionswerte nicht einhalten, sondern übertrafen zudem häufig sogar die gesetzlich geregelten Grenzwerte um ein Vielfaches.
Motivation für die Manipulation am EA288 war für die Autohersteller vermutlich der Kostenaspekt. Denn die Endkund:innen erwarteten sauberere Autos, was jedoch nur mithilfe teurer Hardware nachhaltig erreicht werden kann. Die verwendete Manipulations-Software hatte dagegen vorerst den gleichen Effekt, war jedoch für VW & Co. deutlich günstiger.