Obwohl VW weiterhin behauptet, beim EA288-Motor nicht manipuliert zu haben, beweisen Urteile das absolute Gegenteil. Darunter unser erstrittenes Urteil vor dem Oberlandesgericht Köln. Das Gericht verurteilte VW dazu, an unseren Mandanten gegen Herausgabe seines Skoda Superb 2.0 TDI Schadensersatz zu zahlen (Az. 24 U 112/21).
Wie sind Abschalteinrichtungen allgemein rechtlich einzuordnen?
Die Verordnung Art. 5 II EG-VO 715/2007 erklärt Abschalteinrichtungen, die das Emissionskontrollsystem beeinflussen, mit folgenden Worten für unzulässig:
„Die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, ist unzulässig.“
Jedoch definiert die Verordnung von 2007 ebenso Ausnahmesituationen, in denen eine Abschalteinrichtung zulässig ist und die Wirksamkeit der Abgasreinigung verringert werden darf.
Zulässig sind Abschaltungen
- während des Motorstarts
- während Zulassungsmessungen
- um das Fahrzeug vor Unfall oder den Motor vor Schaden zu schützen
Auch in Einsatzfahrzeugen, wie Rettungswagen, sind Abschalteinrichtungen zulässig.
Während der Testsituation auf dem Prüfstand können noch weitere Abschalteinrichtungen verwendet werden, die jedoch nicht für den Realbetrieb implementiert werden. Ein Beispiel dafür ist die Deaktivierung des Antiblockiersystems (ABS) in der Prüfsituation. Auf dem Prüfstand steht das Fahrzeug mit blockierten Reifen. Diesen Zustand erkennt das Fahrzeug und schaltet das ABS ab, welches im Realbetrieb eingreifen würde. Diese Abschalteinrichtung ist sinnvoll, da das aktive ABS den Zyklus negativ beeinflussen würde.
Die Abschalteinrichtungen, die im VW-Motor EA288 integriert sind, haben dem Fahrzeug auf dem Prüfstand zu besonders niedrigen Emissionswerten verholfen. Das hat mithilfe der Fahrzyklus-Erkennung und verschiedenen Abschalteinrichtungen, wie dem Thermofenster, funktioniert. Erkennt die Software die Prüfsituation, wird ein Modus aktiviert, in dem die Abgasreinigung optimal und auf Hochtouren läuft. So konnten VW & Co. ihre neuen Modelle mit besonders niedrigen Emissionswerten bewerben.
Der optimierte Modus kann im Realbetrieb jedoch nicht aktiviert werden, da der Motor langfristig darunter leiden würde. Die erworbenen Fahrzeuge verfehlen nun sowohl die versprochenen Emissionswerte als auch die gesetzlich geregelten Grenzwerte. Für die Autohersteller war es vermutlich günstiger, Abschalteinrichtungen im Motor EA288 zu implementieren, als Hardware zu verbauen, welche eine tatsächliche Senkung der Emissionswerte herbeiführen würde.
Fahrzyklus-Erkennung
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Auf dem Prüfstand:
Die Manipulations-Software, die beim Vorgängermotor EA189 verwendet wurde, ist auch im Euro-6-Motor EA288 integriert. Die Motorsteuerungssoftware ist hierbei so programmiert, dass das Fahrzeug mithilfe bestimmter Sensoren die Testsituation auf dem Prüfstand erkennt. Durchläuft das Fahrzeug den Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ), läuft die Abgasreinigung mit maximalem Wirkungsgrad ab. Die gemessenen Stickoxid-Werte fallen relativ gering aus, sodass alle gesetzlich geregelten Grenzwerte eingehalten werden können und das Fahrzeug die Marktzulassung erhält.
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Im Realbetrieb:
Nutzt nun der Halter das Fahrzeug im Realbetrieb auf der Straße, erkennt die Motorsteuerungssoftware keine Prüfsituation und regelt die Abgasreinigung sehr stark herunter – schaltet diese häufig sogar komplett ab. Der Ausstoß an gesundheitsgefährdenden Stickoxiden steigt entsprechend an, da in der Abgasreinigung keine Neutralisierung der Abgase erfolgt. Die Messwerte der Abgase übersteigen daher die auf dem Prüfstand gemessenen Werte um ein Vielfaches.
Thermofenster
Das sogenannte Thermofenster ist in allen neueren Diesel-Fahrzeugen verbaut und beschränkt sich nicht auf den Motor EA288. Laut Herstellerangaben soll diese Abschalteinrichtung den Motor vor sehr hohen oder sehr niedrigen Temperaturen schützen. Daraus resultiert, dass die Abgasreinigung bei modernen Dieselfahrzeugen nur bei Außentemperaturen zwischen 20 und 30 °C korrekt funktioniert.
An Tagen mit milderen oder sehr heißen Temperaturen wird die Reinigung der Abgase stark gemindert oder sogar ganz ausgeschaltet. Die Ausmaße der Manipulation werden erst deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass in Deutschland in nur vereinzelten Monaten eine Durchschnittstemperatur zwischen 20 und 30 °C herrscht. Zwischen September 2019 und September 2020 gab es keinen einzigen Monat, in dem die durchschnittliche Außentemperatur über 20 °C lag.
Autohersteller, wie VW & Co. berufen sich bei der Verwendung von Abschalteinrichtungen auf den Art. 5 II EG-VO 715/2007, der diese zwar für unzulässig erklärt, aber als Ausnahmesituation den Motorschutz aufzählt. Die Wirkung von Emissionskontrollsystemen darf verringert werden, wenn das "notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung" zu schützen.
Das Landgericht Regensburg entschied als erstes deutsches Gericht, dass die Abschalteinrichtungen, die im Motor EA288 verbaut sind, unzulässig sind:
Die streitgegenständliche Programmierung ist gesetzeswidrig. […] Sie setzt eine zu einem geringeren Stickoxidausstoß führende, ausschließlich für den Prüfstand bestimmte Programmierung der Motorsteuerung für den Fahrbetrieb auf der Straße außer Kraft, mit der Folge, dass der Stickoxidausstoß im Fahrbetrieb auf der Straße höher ist als auf dem Prüfstand.
Landgericht Regensburg, Urteil vom 19. März 2020, Az. 73 O 1181/19
Auch zahlreiche andere Gerichte ließen das Motorschutz-Argument nicht gelten und stuften sowohl die Fahrzyklus-Erkennung im EA288 als auch das Thermofenster als illegale Abschalteinrichtung ein.
Nachdem verschiedene deutsche Gerichte die Angelegenheit an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) abgegeben hatten, hat sich dieser in den vergangenen Monaten mit der Thematik beschäftigt. Im April 2020 erklärte die zuständige Generalanwältin in ihrem Schlussantrag, dass sie das Thermofenster für illegal hält. Zwar steht ein finales Urteil noch aus, in der Regel folgen die EuGH-Richter jedoch den Empfehlungen der Anwält*innen.
Seit 2019 vom SWR interne Dokumente veröffentlicht wurden, die beweisen, dass sich auch im Motor EA288 Abschalteinrichtungen befinden, ist die Beweislage für Kläger deutlich besser geworden. Aktuell ist eine Anzahl an EA288-Klagen im vierstelligen Bereich bei deutschen Gerichten anhängig. Laufend neue Erfolgsurteile bestätigen Besitzer*innen eines manipulierten Fahrzeugs mit verbautem EA288-Motor, ihre Ansprüche gegenüber VW & Co. geltend zu machen und Schadensersatz vor Gericht zu fordern.