Neuer Hebel im Verbraucherschutz: Die EU-Sammelklage kommt

Zu den Verbandsklagen gesellt sich ab 2022 ein weiteres Instrument: die Sammelklage. Damit sollen Verbraucher:innen die Möglichkeit haben, kollektiv Ansprüche gegen Unternehmen durchzusetzen. Doch was bringt die Sammelklage? Droht jetzt eine befürchtete Klageindustrie nach US-amerikanischem Vorbild? Wir klären auf.

Die neue Sammel­klage

Spätestens seit der zweiten groß angelegten Musterfeststellungsklage, die im Juli 2021 gegen die Daimler AG eingereicht wurde, sind Verbandsklagen in aller Munde. Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union haben nun bereits im November 2020 den Weg für ein weiteres Instrument geebnet, die Sammelklage. Diese muss bis zum 25. Dezember 2022 auch in deutsches Recht umgesetzt werden.

Die Diskussionen um die neue Richtlinie verliefen bislang kontrovers: Einige halten die Sammelklage für die „Büchse der Pandora”. Kritiker:innen befürchten eine Klageindustrie, bei der sich Kanzleien an den Massenschadensansprüchen von Verbraucher:innen bereichern. Andere halten die Richtlinie hingegen für zu harmlos.

Hier findet Dr. Timo Gansel, Rechtsanwalt und Experte für die Musterfeststellungsklage, treffende Worte zum neuen Verbraucherschutzinstrument:

„Mit der Sammelklage wird es nun endlich ein weiteres Hilfsmittel für Verbraucher:innen geben, die von Massenschadensfällen betroffen sind. Die Sammelklage bietet ein sinnvolles Instrument, um Ansprüche von Verbraucher:innen nicht nur festzustellen, sondern um konkrete Abhilfe zu schaffen. Dabei ist die Sorge vor einer „Klageindustrie“ auch hier unbegründet: Die Beschränkung darauf, dass nur staatlich anerkannte und kontrollierte Verbraucherschutzverbände Klage erheben können, schließt Missbräuche aus.“

-Dr. Timo Gansel

Wie wird die Sammelklage letztendlich in deutschem Recht aussehen? Und wird sie Verbraucher:innen tatsächlich Vorteile bringen? Wir halten Sie dazu und mit Nachrichten rund um den Verbraucherschutz sowie nützlichen Rechtstipps in unserem monatlichen Newsletter auf dem Laufenden.

So hängen Musterfest­stellungs­klage und Sammel­klage zusammen

Die Sammelklage kommt, doch die Musterfeststellungsklage gibt es ja auch bereits. Beide verfolgen ein ähnliches Ziel: Verbraucherrechte und -ansprüche gegen Unternehmen durchzusetzen. Worin unterscheiden sich die beiden?

Der größte Unterschied liegt darin, dass mit der Musterfeststellungsklage lediglich die bloße Feststellung eines Anspruchs geklärt werden kann. Mit der neuen Sammelklage sollen nun sowohl Unterlassungs- als auch Abhilfeklagen kollektiv durchführbar sein. Das heißt, man kann im Verband direkt auf Leistung – wie Zahlung, Schadensersatz oder Nacherfüllung – klagen. Dies muss bei der Musterfeststellungsklage im Nachgang noch individuell getan werden.

Was die Klageformen gemeinsam haben, ist, dass ausschließlich sogenannte „qualifizierte Einrichtungen“ Klage erheben dürfen, also unabhängige und nicht-kommerzielle Verbraucherschutzverbände. Die Sorge vor einer Klageindustrie ist demzufolge auch bei der Sammelklage unbegründet. Darüber hinaus greift auch bei der Sammelklage das Verursacherprinzip, das besagt, dass die unterlegene Partei die Verfahrenskosten der obsiegenden Partei trägt. Klagen nur um einer Klage willen wird man sich vorher daher genau überlegen.

Echter Fort­schritt oder stumpfes Schwert?

Die Sammelklage soll dazu dienen, die aus bestimmten Verbraucherrechten resultierenden Ansprüche gegen Unternehmen durchzusetzen. Die Bereiche, in denen die Klage Anwendung finden kann, sind demzufolge breit gefächert:

  • Reisen,

  • Finanzdienstleistungen, z.B. aus der Geldmarktfondsverordnung,

  • Ansprüche im Datenschutz, die sich aus der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ergeben,

  • aber auch Gesundheit und Umwelt.

Auch soll mit der Sammelklage „grenzüberschreitend”, also EU-weit, gegen Verbraucherschutzverstöße geklagt werden. Zwar ist die Ausgestaltung der Klage in deutschem Recht noch konkret abzuwarten. Allerdings zeichnet sich ab, dass damit keine „Büchse der Pandora” geöffnet wird. Expert:innen sehen in der neuen Klage klare Vorgaben, die außerdem verhindern, dass die Sammelklage als zahnloser „Papiertiger” endet.