Kostenerstattungspflicht der privaten Krankenversicherung für weitere Behandlungszyklen bei fortwährendem Kinderwunsch

Die Kanzlei Gansel Rechtsanwälte informiert über ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) zur Feststellung der Kostenerstattungspflicht eines Versicherers für weitere Behandlungszyklen einer kombinierten IVR-/ICSI-Behandlung. Danach steht für weitere Kinderwunschbehandlungen die Geburt bereits eines Kindes bei fortdauernder organisch bedingter Sterilität einem Versicherungsfall nicht entgegen.

Der Fall

Ein Ehepaar, das bereits durch künstliche Befruchtung ein Kind gezeugt hat, möchte, dass der private Krankenversicherer des Ehemannes diesem wegen des Wunsches nach einem zweiten Kind die Kosten für vier weitere Behandlungszyklen einer homologen In-vitro-Fertilisation (IVF) mit intracytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI) ersetzt.
Der Ehemann ist beihilfeberechtigt und daneben bei dem Versicherer zu einem Tarif privat krankenversichert, der für ambulante Behandlungen eine Kostenerstattung zu 50% vorsieht. Dem Krankenversicherungsvertrag liegen Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung zugrunde, die in ihrem Teil I die Musterbedingungen 1994 des Verbandes der privaten Krankenversicherung für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherungen (MB/KK 94) einschließen.
Im Jahre 2002 gelang es im dritten Behandlungszyklus einer kombinierten IVF/ICSI-Behandlung, deren Kosten überwiegend der gesetzliche Krankenversicherer der Ehefrau und zu einem geringen Teil die private Versicherung getragen hat, mit Spermien des Mannes bei seiner 1964 geborenen Ehefrau eine Schwangerschaft herbeizuführen, die im April 2003 zur Geburt einer Tochter führte.
Die Versicherung lehnte nun die Kostenübernahme für weitere IVF/ICSI-Behandlungszyklen ab. Der Ehemann klagte daraufhin auf Feststellung, dass seine Versicherung auch deren Kosten jeweils zum tariflich festgelegten Prozentsatz (50%) erstatten müsse. Er trug vor, er leide an einer schweren Asthenozoospermie und einem Oligo-Astheno-Teratozoospermie-Syndrom (OAT-Syndrom), d.h. einer verminderten Spermiendichte bei gleichzeitig verminderter Spermienbeweglichkeit und erhöhter Spermienfehlformenrate. Deshalb könne er auf natürlichem Wege keine Kinder zeugen. Bei seiner Ehefrau bestünden keine körperlichen Einschränkungen der Fertilität.
Die beklagte Versicherung bestritt das Krankheitsbild mit Nichtwissen und meinte, sie müsse die Kosten für die künstliche Zeugung eines zweiten Kindes nicht tragen, weil die Krankheit des Mannes bereits mit Geburt seiner Tochter gelindert sei.

Die Entscheidung

Der BGH hielt die Klage für zulässig, weil das Begehren auf ärztlich für notwendig erachtete Behandlungen gerichtet und durch ein Urteil eine sachgemäße und erschöpfende Lösung des Streits über die Erstattungspflichten zu erwarten sei. Das Berufungsgericht hätte Beweis darüber erheben müssen, ob der Ehemann an der behaupteten Fertilitätsstörung leide und ob die IVF/ICSI-Behandlungszyklen hinsichtlich der Erkrankung notwendig seien.
Die Krankheit Mannes bestehe in der auf körperlichen Ursachen beruhenden Unfähigkeit, auf natürlichem Wege Kinder zu zeugen. Das schließe aus, das Vorliegen eines Versicherungsfalls allein deshalb zu verneinen, dass der Mann und seine Frau bereits Eltern eines gemeinsamen Kindes seien.
Werde eine In-vitro-Fertilisation in Kombination mit einer intracy-toplasmatischen Spermieninjektion vorgenommen, um die organisch bedingte Unfruchtbarkeit des Mannes zu überwinden, so sei die Maßnahme eine insgesamt auf dieses Krankheitsbild abgestimmte Heilbehandlung. Soweit die Versicherungsbedingungen davon sprechen, eine Leistungspflicht für künstliche oder extrakorporale Befruchtung bestehe, wenn eine organbedingte Sterilität der Frau vorliege und die Befruchtung nach objektiver medizinischer Feststellung das einzige Mittel zur Herbeiführung einer Schwangerschaft sei, enthalte diese Klausel weder einen Ausschluss noch eine Einschränkung der Erstattungsfähigkeit von Heilbehandlungskosten, die durch eine körperlich bedingte Unfruchtbarkeit eines versicherten Mannes bedingt sind. Die Versicherung müsse deshalb die Behandlungskosten erstatten.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 12.07.2006, Az.: IV ZR 173/05

Der Kommentar

Mit diesem Urteil haben die BGH-Richter noch einmal klargestellt, dass sich die privaten Krankenversicherer nicht ohne Weiteres auf die Position zurückziehen können, sie haben ihrer vertraglichen Pflicht Genüge getan, wenn sie bereits eine erfolgreiche künstliche Zeugung finanziert haben. Allerdings müssen die Betroffenen ihre behauptete Erkrankung zum einen nachweisen und zum anderen die ins Auge gefassten Behandlung als medizinisch notwendig begründen. Dabei ist insbesondere zu prüfen, ob die geplante Behandlung auch ausreichend Erfolg verspricht.
Des Weiteren stellten die Richter fest, wenn zur Überwindung der organisch bedingten Unfruchtbarkeit eines Mannes eine In-vitro-Fertilisation in Kombination mit einer intracytoplasmatischen Spermieninjektion vorgenommen werden soll, handelt es sich bei dieser Maßnahme um eine insgesamt auf dieses Krankheitsbild abgestimmte Heilbehandlung.